Ja, dieser Urlaub hat etwas holprig begonnen. Was für ein Glück. Denn ohne das finstere, kleine Zimmer in Noli hätte ich die Côte d´Azur immer noch nicht gesehen, den Charme Frankreichs – ich kenne eigentlich nur Paris ein wenig – nicht entdeckt und manches andere auch nicht. Frankreich hat es mir angetan, die drei Tage haben ausgereicht, mich zum Fan werden zu lassen. Meine Liebe zu französischen Autorinnen kennt ihr ja schon, auch modisch hege ich eine gewisse Vorliebe für einige französische Brands.
Der erste entscheidende Eindruck ereignete sich gleich nach der Grenze: der Unterschied zwischen ligurischer Küste und der Küste der Provence, die Landschaft ist ja mehr oder weniger die gleiche. Gepflegte, geschmackvolle und farblich ansprechende Häuser, bessere Straßenführung, aufgeräumt, ohne dass es spießig wirkt, kaum Müll, der herumliegt… Diese entspannte Strukturiertheit und Lässigkeit haben sich durchgezogen. Immer wieder dachte ich über die augenscheinlichen Unterschiede nach.
Das Essen war sehr gut und die Weine auch. Ich trank das erste Mal einen Puligny-Montrachet – laut meinem Mann einer der besten Weißweine der Welt. Das kleine Hotel in Saint Paul de Vence war ein Tipp einer sehr guten Freundin. Wir haben Antibes besucht, das Kap erwandert, Nizza gesehen und ein paar kleine Orte rundherum. Drei Highlights möchte ich herausstreichen, die Fondation Maeght, das Restaurant Le Tilleul, der Tipp einer anderen Freundin, und die Chapelle du Rosaire de Vence von Henri Matisse.
Ich bin ja sehr Frankreich-kritisch aufgewachsen, die Franzosen wurden nicht übermäßig geschätzt von meinem Vater. Zu unverlässlich, historisch gesehen, die Eitelkeit der Grande Nation, die wenig rühmliche koloniale Vergangenheit, die vielen Atomkraftwerke, die exaltierte Sprache, viele philosophische Texte ein einziges Blendwerk, selbst die Aufklärung könne man nur bedingt Frankreich zuschreiben, die Grundprinzipien gingen bis zu den Sophisten zurück, die Renaissance war maßgeblich beteiligt und so weiter. Ob meine Mutter dazu eine Haltung hatte, erinnere ich mich nicht mehr. Fazit ist, dass ich nie Französisch gelernt habe, außer ein paar Worten und Sätzen, die ich in einem Freifach in der Schule und in Paris aufgeschnappt und mir von französischen Netflix-Serien gemerkt habe. Interessant ist, dass mich im Ausland, auch in Frankreich, Leute gerne französisch ansprechen, weil sie denken, ich sei Französin.
Ich habe nun entschieden, endlich Französisch zu lernen, zuerst mit einem Online-Kurs und dann einfach länger mal nach Frankreich fahren, am besten als „Workation“. Das plane ich sowieso für nächstes Jahr, auf der Liste stehen Athen und Lissabon, aber vielleicht suche ich mir eine französische Stadt dafür aus. Das Workation-Vorhaben entsprang meiner Beobachtung, dass ich mich Post-Lockdowns ab und an zu sehr in meiner mir gewohnten Bubble bewege – siehe letzter Newsletter –, das macht das Denken und Erleben enger und das gefällt mir nicht. Mich hat aber auch mein Sohn inspiriert, der ziemlich ortsunabhängig arbeiten kann und das auch macht. Eben war er einige Wochen in Nairobi und schon an seiner Stimme habe ich gemerkt, wie beflügelnd die gänzlich neue Umgebung war.
Nach Frankreich ging es dann noch zwei Tage zurück nach Ligurien, ganz ans Meer, der Tipp der Freundin, die das Restaurant in Saint Paul de Vence empfohlen hat. Wieder eine andere Freundin hat mir in dieser Zeit ein sehr schönes Zitat des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard geschickt:
Dem kann ich nur zustimmen. Das Gehen hat sich auch durch diesen Urlaub gezogen, insgesamt waren es in den 11 Tagen über 160 Kilometer. Immer wieder ist mir Erling Kagge eingefallen, der von mir überaus geschätzte norwegische Abenteurer, Kunstsammler und Verleger, der erste, der alle drei Pole (Südpol, Nordpol und Mount Everest) bewältigt hat. Er hat u.a. ein wunderbares Buch über das Gehen geschrieben: „Walking. One step at a time“. Wandern, Gehen ist zu einem essentiellen Teil meines Lebens geworden, für mich die beste Strategie mehr zu mir zu kommen, Abstand zu gewinnen und meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Und man lernt eine Gegend, eine Stadt kaum besser kennen, als wenn man sie ergeht.
Jetzt wieder back home gilt es das halbwegs rüber zu retten, zumindest für die nächste Zeit. Es stehen gute und interessante Projekte und Reisen an, ich bin also recht heiter und zuversichtlich was die nächsten Monate betrifft.
Mir ist natürlich klar, dass es sich hier in erster Linie um eine Urlaubsschwärmerei handelt, die Komplexität der französischen Gesellschaft, die sozialen und kulturellen Brüche und Herausforderungen sind mir nicht unbekannt. Ich würde darüber sehr gerne mal mit einer Soziologin, einem Soziologen sprechen, auch über die Unterschiede zwischen Italien und Frankreich. Ich habe da natürlich jede Menge Hypothesen, vor allem historisch bedingte, aber Eindrücke sind eben nur Eindrücke und dem (An-) Gelesenen fehlt die Direktheit.
Wer kennt von euch Frankreich gut? Habt ihr einige Tipps für mich?
Eure urlaubserholte Frau Susi
PS: Ein großer Dank an Birgit, Daniela, Irene und Martina für die tollen Tipps!
PPS: Konrad vom Mardi Gras – ihr erinnert euch? – hat mir eine interessante französische Krimiautorin empfohlen, die Historikerin Dominique Manotti. Sehr politisch, sehr spannend und sehr nahe an der Realität. Ich habe mir gleich einige Bände besorgt.
PPPS: Für profundere Lektüre kann ich wärmstens Marie-Luisa Fricks Reclam Band „Mutig denken. Aufklärung als offener Prozess“ empfehlen.
PPPPS: Im Blog stelle ich euch das Buch „Loved Clothes Last“ von Fashion Revolution Co- Gründerin Orsola de Castro vor. Lesenswert!
Stimmt, vom Aussehen und Styling könntest Du Französin sein, absolut!