Corona sei Dank bin ich wieder zurück gekehrt zu ausgedehnterer Lektüre. Nicht, dass ich vorher nicht gelesen hätte, aber es waren vor allem Sachbücher, Zeitungen, Magazine und viel online. Die diversen Lockdowns haben es mit sich gebracht, dass ich stapelweise Bücher ins Haus getragen habe, diesmal vor allem Fiction. In Italien gehört der Buchhandel ja lobenswerter Weise zu den Grundbedürfnissen und so waren die Buchhandlungen mehr oder weniger immer offen. Amazon kommt für mich, außer in alleräußersten Notfällen nicht in Frage, denn da ich möchte, dass der Buchhändler meines Vertrauens überlebt, bestelle ich alles bei ihm.
In Bozen gibt es nur eine Buchhandlung und einen Buchhändler für mich. Konrad Daum und sein Mardi Gras in der Andreas-Hofer-Straße. Die Buchhandlung ist nicht zu klein und nicht zu groß, führt neben deutsch- und italienischsprachiger Literatur auch viel Fremdsprachliches, hat einen Schwerpunkt für Comics und allerhand mehr im Repertoire. Bücher für Kinder gibt´s auch. Schon auf den ersten Blick ist klar, hier ist jemand am Werk, der die Welt der Bücher liebt.
Einige Läden mussten in den letzten Jahren schließen, der Athesia-Konzern macht sich breit und räumt auf die Seite, was im Weg steht. Auch zur Athesia gehe ich nur in alleräußersten Notfällen, denn von Literatur versteht dort kaum jemand wirklich was. Konrad ist ein Buchhändler wie man ihn sich wünscht, klug, belesen, er kennt (fast) alles, kann dir was erzählen über die Bücher und empfiehlt je nach Geschmack, wenn man das möchte. Die besten Tipps bekomme ich von ihm. Da ich wenig aktuelle Besprechungen lese oder die, die ich lese, wieder vergesse oder die herausgerissene Zeitungsseite nicht mehr finde, verlasse ich mich gerne auf sein Urteil. Er stellt mir was zusammen und ich schaue dann durch.
Bücherstapel erinnern mich an meine Kindheit. Denn wenn es etwas im Überfluss gab, dann Bücher. Zu Anlässen geschenkt und auch zwischendurch immer wieder. Also nicht ein, zwei Bücher, sondern fünf, sechs, sieben, acht. Ob das die wunderschönen Bücher von Maurice Sendak waren oder Lupinchen oder Pipi Langstrumpf, die damals viele gar nicht lesen durften, oder Momo, Mio mein Mio oder Janosch… Auch später, eigentlich bis heute, bekomme ich von meinem Vater Bücher geschenkt. Ich muss vielleicht dazusagen, dass Bücher der allgegenwärtige Einrichtungsgegenstand in der Wohnung meiner Eltern sind. Weggegeben wird nichts. Ich bin da pragmatischer, ich entsorge Bücher auch immer wieder. Bei meinem Umzug vor vier Jahren musste die Hälfte des Bestands dran glauben.
Die viele gute Lektüre hat meine Schwester und mich aber nicht davon abgehalten in einer Art Bücher-Pubertät heimlich und mit viel Vergnügen Arztromane und ähnlich schwülstig-peinliche Liebesgeschichten zu lesen. Die Phase ging vorüber, geblieben aber ist ein Hang zu easy going stories, der heute vor allem mit Netflix befriedigt wird.
Zurück zu Konrad und seiner Buchhandlung. Ich habe also viele Bücher nachhause geschleppt und tatsächlich das meiste davon schon gelesen. Hier meine Empfehlungen für den Sommer und den ein oder anderen Strandaufenthalt:
Meine aktuellen Favoritinnen sind französische Autorinnen. Für mich haben sie eine besondere Art zu erzählen, eine Leichtigkeit, ohne banal zu sein, einen Schwung, Rhythmus und eine Virtuosität der Sprache, die ich sehr mag. Gerne habe ich früher die Bücher von Anna Gavalda, Marie Darieussecq oder Emma Becker gelesen, jetzt sind es die Romane und Erzählungen von Delphine de Vigan und Virginie Despentes. Vor kurzem habe ich Despentes „Vernon Subutex“ Romane gelesen, alles in allem über 1200 Seiten, aufgeteilt auf drei Bände. Eine Wucht!!! Ich war süchtig. Despentes geht hart zur Sache, Sex, Drugs und Rock 'n' Roll, auch Gewalt ist dabei, Terrorismus, Rassismus, Obdachlosigkeit, genauso wie zarte Beobachtungen und tiefgründige Innenschauen. Politisch korrekt läuft hier gar nichts, manchmal musste ich schlucken und tief durchatmen, Despentes schont rechts und links niemanden. Aber immer mit Respekt vor ihren Figuren. Ich kann mich nicht erinnern etwas Vergleichbares gelesen zu haben. In Frankreich schlug der Roman ein wie eine Bombe. Hauptfigur ist Vernon Subutex, ein legendärer Plattenhändler, den die neoliberalen und technologischen Umwälzungen langsam aber sicher aus der Bahn werfen. Er landet zunächst bei verschiedenen Freunden auf dem Sofa, dann auf der Straße und findet irgendwann wieder Wege, besser gesagt ungewöhnliche Formate, in eine neue Lebensweise. Rund um Vernon Subutex spannt Despentes ein Netz an Bekannten, Freunden und Feinden, die, eingebettet in nationale und globale Verwerfungen, verschiedenste persönliche, politische und religiöse Facetten exemplarisch aufzeigen und webt das alles in einen riesigen Gesellschaftsroman. Rasant geschrieben, intelligent und berührend.
Sehr gerne gelesen habe ich auch die Bücher von Delphine de Vigan, „Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin“, „Loyalitäten“ und vor allem „Nach einer wahren Geschichte“. In diesem Roman geht’s um eine Schriftstellerin, ihre Schreib-Blockade und eine Freundschaft, die immer mehr ausartet und schleichend zu einer Übernahme des Lebens der Autorin durch die Freundin führt. Weibliche Manipulation vom Feinsten.
Rauf und runter gelobt wird die amerikanische Autorin Elizabeth Strout. Ich habe eines ihrer Bücher auf englisch – „Olive Kitteridge“ – und eines auf deutsch – „Die Unvollkommenheit der Liebe“ – gelesen. Sie kreist um die kleinen und dann doch auch größeren Befindlichkeiten des Lebens im kleinstädtischen, ländlichen Ambiente Maines und New Hampshires. Angenehm zu lesen, manchmal beruhigend beunruhigend, für mich aber kein Vergleich zu den Französinnen. Wer im Kleinen gerne das Große findet, für den ist die Lektüre sehr passend.
Eine gute Freundin hat mir den Roman „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“ von Sibylle Berg geliehen. Wer kennt sie nicht, die spitze Zunge der Sibylle Berg, gefeierte Autorin, Dramatikerin und Kolumnistin. Vom Roman aber war ich wenig angetan, ich fand ihn etwas grob, gewollt, mir fehlte der Respekt vor den Figuren (im Gegensatz zu Despentes). Das habe ich auch mit meinem Buchhändler Konrad diskutiert, er war der gleichen Meinung und meinte sogar, dass dieser literarische Ton vorbei sei, zu oft wiederholt.
Gut gefallen hat mir Emmanuelle Carrés Romanbiographie über den ziemlich größenwahnsinnigen russischen Schriftsteller und Politiker Eduard Limonov. Ich hatte das Buch mit als ich im Mai meinen Sohn und seine Verlobte in Bra besuchte, leider ließ ich es dort liegen, das letzte Viertel harrt also noch meiner.
Auch nicht schlecht gefallen hat mir Bernardine Evaristos Buch „Girl, Woman, Other”. Man taucht ein in die LGBTQ+ Welt mit ihren vielen Facetten und Bezeichnungen, wobei ich nicht traurig war, auch wieder aufzutauchen. Sie scheint nicht wesentlich entspannter, geschweige denn toleranter zu sein, als die Hetero-Welt. Aber schön, dass es so viel Vielfalt gibt auf dieser Welt.
Gerade eben habe ich mir zwei neue Romane bei Konrad geholt, wieder zwei Franzosen, dabei spreche ich nicht mal Französisch! „Kompass“ von Mathias Enard und Laurent Binets „Die siebte Sprachfunktion“. Im ersten geht es um den Blick des Orients auf den Okzident, im zweiten um eine Kriminalgeschichte featuring Roland Barthes, Michel Foucault, Jacques Derrida, Julia Kristeva und einige mehr. Ich bin gespannt.
Und welche Lektüre plant ihr so? Hattet ihr auch mehr Zeit zu lesen im Lockdown? Habt ihr gute Empfehlungen? Frau Susi ist ganz Ohr!
Yours,
Frau Susi
p.s. Und wenn ich nicht lese, schreibe, nachdenke, poste, in die Luft schaue oder so, mache ich hin und wieder das:
p.p.s.: Ab und zu weniger herum machen und mehr lesen am Sofa oder Strand oder Stuhl ist auch gut für den CO2-Fußabdruck!
p.p.p.s. Im Blog geht’s diese Woche um ein Geschäft in Bozen, das „Sublime“, das stilsicher, qualitätsbewusst und auch nachhaltig versucht dem kleinstädtischen Style etwas auf die Sprünge zu helfen.
p.p.p.p.s. Bislang ist leider noch keine Einladung zu einer Tanz-Party hereingeflattert!