#26 „Derer sind wenige, die Verstand haben“ – Dante Alighieri
Frau Susi denkt über Dantes Inferno nach
Leider bin ich weder eine Dante Kennerin noch habe ich mehr als ein paar Absätze Dante wirklich gelesen. Aber der große italienische Dichter, dessen 700. Todestag heuer gefeiert wird, begleitet mich durch mein Leben oder besser gesagt taucht immer wieder auf. Als Lernstoff in der Schule, als bewunderter Dichter, vielfach gesehen in verschiedensten Theater-Adaptionen, in den wunderbaren Zeichnungen des verstorbenen Südtiroler Künstlers Markus Vallazza… Als Studentin lernte ich auch einen jungen Römer kennen, dessen Familie in der Commedia vorkam, ich weiß allerdings nicht wo, aber als Spross einer illustren Adelsfamilie war das vermutlich in der Hölle. Dantes Divina Commedia, seine Reise durch die drei Teile des Jenseits – Inferno, Purgatorio und Paradiso – ist von einer Wucht, die ihresgleichen sucht. Halt, Homer war schon vorher da, auch Vergils Aeneis. Bei uns wurde es wohl erst mit Goethe dichterisch richtig ernst.
Vor kurzem habe ich bei den Vereinigten Bühnen Bozen eine flotte Dante Inszenierung gesehen, aber über die Hölle war ich etwas verwundert. Weil hier vor allem die gestrandeten und total abgefuckten Kreaturen gezeigt wurden. Nein, nein, so einfach ist das meines Wissens nicht. In der Hölle brutzeln die Habgierigen, die Schmeichler, die Bestechlichen, die Geizigen, die Boshaften, die Verbrecher gegen die Menschheit und gegen die Natur, die Gefräßigen, die Betrüger, interessanterweise auch die Wahrsager, sind das vielleicht heute die adretten Zukunftsforscher, die zum Beispiel einer Greta Thunberg medial ausrichten lassen: „Greta, wir schaffen das“, und dabei wissen, dass sie in Wirklichkeit keine Ahnung haben wie das gehen soll? Schon damals, also zu Dantes Zeiten, war ja ein nicht unbeträchtlicher Teil der Creme de la Creme der Gesellschaft fixer Höllenplatz-Abonnent. Die Bestrafungen in Dantes Hölle(n) können sich sehen lassen, da ist Netflix nichts dagegen.
Das hat mich dazu animiert, gedanklich so in die Runde zu blicken und mir zu überlegen, wer denn heute vielleicht wo wäre bei Dante? Ich möchte nicht zu persönlich werden, aber Höllenkandidat*innen fallen mir schon einige ein. Neben sehr einleuchtenden Typen wie Bolsonaro, Kim Jong-Un, Putin, Xi Jinping, den Diktatoren Osteuropas, der arabischen und afrikanischen Staaten, ja vermutlich auch der fesche Kurz oder der polnische Ministerpräsident, frage ich mich zum Beispiel wo Jeff Bezos oder Chiara Ferragni oder Ex-Papst Johannes Paul II sich bei Dante wiederfinden würden?
Jeff Bezos hat vermutlich keine Chance an der Hölle vorbei zu kommen, Chiara Ferragni vielleicht, aber vermutlich weder die Ethik noch den Willen dazu, ihr Fashion- und Kosmetik-Imperium statt weiter auf Total-Konsum zu trimmen, ihren Einfluss auf junge Mädchen für nachhaltigeres Konsumverhalten zu nützen. Und ich kann mir vorstellen, dass auch ein Papst, der einem Kontinent wie Afrika die Verhütung verboten hat, weil schwere Sünde, auch einiges an Erklärungsbedarf im Jenseits hat.
Wer noch? Ich glaube, die Liste ist lang… Da sind auf jeden Fall die dabei, die nie genug kriegen können. Weiter, weiter, mehr, mehr. Mehr Aktiengewinne, mehr Medienmacht, mehr Weltraumflüge – danke Prince William für das klare Statement gegen den Weltraumtourismus von postpubertierenden Jungs –, mehr Skilifte, mehr Handtaschen, mehr Betten, mehr SUV-Panzerfahrzeuge… Mehr Humor gehört nicht hierher.
Die Pandemie ist natürlich auch ein wunderbarer Tummelplatz für Höllenkandidat*innen. Ignoranz und Egoismus feiern ja ein kaum gekanntes Coming Out, gerne würde ich mit Dante sagen können „ab in die Hölle“.
Was ist mit den Waffenhändlern, religiösen Fanatikern, den Erdöl-Scheichs, Immobilien- und Nahrungsmittelspekulanten? Denjenigen, denen Profit wichtiger ist als ihr Umweltgewissen, denjenigen, die sich keinen Deut darum scheren, ob auch noch was für die Generationen nach uns übrig bleibt? Denjenigen, die ständig mit Privat-Flugzeugen oder Hubschraubern über unseren Köpfen herumfliegen? Wäre als Läuterung eine saftige CO2 Steuer im Diesseits vielleicht schon die richtige Kur?
Kommen die Unfähigen eigentlich auch in die Hölle? Das weiß ich nicht. Kennt ihr euch da besser aus?
Unsereiner hat vielleicht noch eine Chance im Purgatorio zu landen, die Strafen sind gewissermaßen endlich, wenn läuterungsbereit. Aber sicher bin ich mir da auch nicht. Einiges spricht dagegen, einiges vielleicht auch dafür. Das mit dem Paradiso ist ja sehr vage und ätherisch, vermutlich kommt da niemand hin, auch nicht Mutter Theresa, die sehr launisch gewesen sein soll, wie ich gelesen habe. Vielleicht war das aber auch nur üble Nachrede.
Also wie jetzt. Mein evolutionär entwickeltes Gerechtigkeitsgefühl würde es sehr begrüßen und beruhigen, wenn es in irgendeiner Form ausgleichende Gerechtigkeit gäbe. Aber von wem? Von einem der über 1000 Götter oder Göttinnen, von denen die jeweiligen Anhänger*innen Anspruch auf (Allgemein-) Gültigkeit einfordern? Vom Europäischen Gerichtshof, den selbst einige EU-Mitglieder nicht so ganz anerkennen? Vom Rechtsstaat, der hinten und vorne angegriffen wird und kaum mehr hinterherkommt für Recht zu sorgen? Von einer Menschrechts- und Menschenpflichten-geleiteten Weltregierung also? Wäre schön, aber leider nicht in Aussicht. Irgendeinen Unterschied muss es doch ausmachen ob man sich zumindest bemüht, ein ethisch halbwegs integrer Mensch zu sein oder eben nicht? Also bleibt doch wieder Dante, kontextualisiert natürlich. Und ich denke weiter darüber nach, wer in der Hölle Platz nehmen sollte und wer nicht. Allein das sind schon gar nicht so unbefriedigende Gedanken.
Was denkt ihr? Habt ihr Höllenphantasien? Ja? Nein?
Yours,
Frau Susi
PS Und was tut sich sonst noch? Am 5. November wird die Bozner Messe Biolife eröffnet und da bin ich drei Tage mit GREENSTYLE @ Biolife dabei. Schaut ihr vorbei? Darüber lesen könnt ihr hier.
Und in der Woche vorher ging es im Blog um Upcycling und den tollen Brixner Shop „Wianui”.
Liebe Frau Susi! ein paar Impulse sind mir beim Lesen Deines Textes gekommen:
Wikipedia zu Selbstgerechtigkeit: "Unter Selbstgerechtigkeit versteht man den Habitus von Personen, die sich gewohnheitsmäßig mit anderen vergleichen und dabei immer wieder zur Überzeugung gelangen, dass sie selbst die Sitten strenger einhalten als die anderen". Mir kommt vor, dass gerade wir "Westler" nach den unermesslichen Grausamkeiten, die wir auf der ganzen Welt seit Jahrhunderten begangen haben (nur als kleines Beispiel in der Kolonialzeit) nun nur oft zu gerne den moralischen Zeigefinger erheben, sei es gegenüber Putin, Bolsonaro, Afrikanische Diktatoren oder andere, die Du als Höllenkandidaten eingeteilt hast. Selbst wenn es stimmen sollte, dass wir aus unserer Geschichte etwas gelernt haben sollten (was ich oft bezweifle), so unterliegen wir leicht der Gefahr, dass wir - frei nach Goethe - Teil der Kraft werden, die steht`s das Gute will und Bößes schafft. Eine Bekannte (Gemeinderätin der Grünen in einem Dorf) hielt es zum Beispiel bei der letzten österreichischen Bundespräsidentenwahl für völlig legitim, wenn man im Wahllokal Stimmen für Hofer verschwinden lassen hätte, weil es ja der guten Sache (Wahl von Van der Bellen) gedient hätte.
Du bist gelernte Juristin, aber "richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden..." (Matthaeus 7:1-5) sollte uns immer wieder zu denken geben.
Bitte mich nicht falsch zu verstehen: Natürlich heißt das für mich nicht, dass ich mich nicht für Belange, von deren Richtigkeit ich überzeugt bin, einsetzen soll. Doch seien wir vorsichtig, wen wir in die Hölle schicken und wen nicht!
Ich bin überzeugt, dass wir darauf vertrauen können, dass der Urgrund der Welt im Sinne von "Selig die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden" (Mt 5,6) letztendlich gerecht ist.
Anmerkung: Auch wenn ich hier zweimal Anleihen bei der Bibel nehme, halte ich sie (die Bibel) weder für unverfälscht noch bin ich Verfechter einer konfessionellen Kirche.