#21 Gibt’s den Green-Pass auch in Südtirol?
Frau Susi hat eigentlich keine Lust mehr über die Einhaltung der Corona-Regeln nachzudenken
Ja, eigentlich wollte ich das Thema ad acta legen. Aber es rumort gerade wieder in mir. Vorgestern saßen mein Mann und ich gemütlich draußen (!) in einem Lokal in der Innsbrucker Altstadt, die Wirtin kontrollierte unsere Green-Pässe, wir haben uns mit einer Freundin getroffen, die wir länger nicht gesehen hatten. Sie erzählte von ihrer phantastischen Bergtour in Südtirol, mehrtägig und sehr herausfordernd. Besagte Freundin ist nicht nur überdurchschnittlich sportlich, sondern auch unerschrocken im Nehmen, weder wehleidig noch übervorsichtig, sondern sehr zupackend und mit den Füßen am Boden – dabei überaus liebenswert, klug und gebildet. Eine der ersten Fragen, die sie uns stellte war, was denn bei uns in Südtirol los sei? Sie habe sich wirklich unsicher gefühlt. Niemand habe nach dem Green-Pass gefragt, weder im Hotel, noch in der Hütte, wo sie zu mehreren Personen in einem Raum schliefen. Das eigenständige Vorweisen, sei als unwichtig abgetan worden. Corona? Nix, nada.
Diese Erfahrung deckt sich mit der Erfahrung von etlichen anderen Freunden auf Südtirol-Besuch, leider auch mit meinen/unseren Erfahrungen. Ich bin den gesamten Sommer über in Südtirol zweimal nach dem Green-Pass gefragt worden. Bei einem Konzert des European Youth Orchestra und im Café Exil. Ich habe mich bedankt bei der Kellnerin. Vorweisen musste ich den Pass, bis auf die zwei Ausnahmen, nur in anderen italienischen Provinzen, in Österreich und Deutschland.
Und ich frage mich auch: Was ist nur los bei uns??? Ich kenne Gastwirte, die sind weder geimpft noch lassen sie sich (regelmäßig) testen, geschweige denn, dass sie den Green-Pass kontrollieren. Sie sind jeden Tag mit unzähligen Leuten in Kontakt. Das Land, die Städte, die Berge, die Straßen sind voll bis zur Atemnot und es wird gemaatscht (Südtiroler Ausdruck für tüchtig zupacken ohne Rücksicht auf Verluste) als gäbe es kein Morgen.
Klar gibt es auch andere, aber da diese Praxis bei weitem kein Einzelfall zu sein scheint, muss der Hund wohl im System zu suchen zu sein. Und das verwundert auch nicht. Die HGV-Spitze (Südtiroler Hotel- und Gastwirteverband) hat sich in dieser Pandemie von ihrer schlechtesten Seite gezeigt. Immer den Mund offen, lautstark, aufs Opfersein verlegt, ständig verärgert darüber, dass es sowas wie eine Pandemie und Regeln zu ihrer Eindämmung überhaupt gibt. Die Vermutung liegt also nahe, dass die Anweisung, nicht zu kontrollieren, von oben kommt.
Die Pandemie hat den Tourismus hart getroffen. Aber wie kurzsichtig muss man sein, jetzt so zu arbeiten, dass alle (Corona-) Fetzen wieder fliegen? Die ersten, die draufzahlen, wenn wieder Reisebeschränkungen eingeführt werden, sind die Tourismus-Betriebe.
Südtirol ist das Schlusslicht der italienischen Impfquoten-Liste. Das, gepaart mit dem oben beschriebenen Verhalten, ergibt einen Cocktail, der wenig vertrauenswürdig ist. Und das scheint sich auch langsam herumzusprechen.
Vor kurzem war ich bei einem interessanten Brand-Talk dabei, bei dem es darum ging, die Marke Südtirol neu zu positionieren. Durch die Bank vernünftige Leute sind da am Werk, maßvoll, vorausblickend, mit guten Ideen. Es wurde viel über Nachhaltigkeit gesprochen und darüber, endlich auch den Fokus auf das innovative Südtirol zu legen, die vielen spannenden Unternehmen. Natürlich war auch Overtourism ein Thema. Ich fürchte nur die Landestouristiker haben die Rechnung hier ohne den Wirt/die Wirte gemacht. „Die Gier is a Hund“ hat die aus Südtirol stammende Volkskundlerin und Philosophin Elsbeth Wallnöfer mal in einem Interview mit mir gesagt.
Das Thema geht mir nahe. Ich mag dieses Land und viele seiner Leute sehr. Aber es wird Zeit, dass wir die Zukunft Südtirols nicht Leuten überlassen, denen jegliche zeitgemäße Zukunftsperspektive fehlt, die vor allem an die eigene Brieftasche denken und für die gesellschaftliche Solidarität ein Fremdwort ist. Die vielen vernünftigen Touristiker*innen sollten sich endlich wehren, genauso die Südtiroler Zivilgesellschaft, genauso die Touristen.
Wer heuer Ruhe gesucht hat, hat sie vielleicht da und dort (noch) gefunden. Es war so voll, wie kaum je zuvor. Die Leute, die es sich leisten können, lassen sich zunehmend in Resorts sperren, die anderen müssen halt mit den Massen mitttrotten (tolles Wort, 5 t!). Wunderschöne Wanderwege auf den Ritten, Salten, um den Völser Weiher, hinauf zur Tuff Alm, mutieren, je länger die Saison dauert, zu öffentlichen Klo-Anlagen. Die (Völkerwanderungs-) Wege sind gesäumt mit Taschentüchern, weggeworfenen Masken und sonstigem Müll.
Frau Susis Bitte also zum Schluss: Fragt nach, schaut hinter die Kulissen und lasst euch nicht abspeisen mit laschen Sicherheitsregeln. Auch aus Liebe zu diesem Land und seinen Leuten.
Yours,
Frau Susi
p.s.: Gerade als dieser Text fertig war, hab ich gesehen, dass der HGV nun (am Ende des Sommers) dazu aufruft, den Green-Pass zu kontrollieren. Vermutlich haben sich dann doch viele beschwert.
p.p.s.: Wer Südtirol anders erleben möchte, kann das seit kurzem mit Laifain tun. Eine kleine, feine Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, Erlebnisse auf Maß anzubieten, fern der abgetretenen Südtirol-Pfade. Bin sehr begeistert von dem Projekt!
p.p.p.s.: Im Sustainable Fashion Blog unterhalte mich mit Julia Kölblinger, die das wunderschöne Geschäft in Innsbruck JULI KA fine arts jewelry betreibt, über ihren Zugang zu nachhaltigem Schmuck.
Da fällt mir ein, ich habe meinen Green-Pass noch einmal gezeigt bei uns, im Wirtshaus Bad Schörgau beim wunderbaren La-Fuga Abend!
Liebe Frau Susi! Wir haben zunehmend eine Tendenz, den Menschen nicht mehr zu vertrauen. Das halte ich für sehr bedenklich. Ich glaube an die Menschen, ihr Verantwortungsbewusstsein, ihre tiefe intuitive Weisheit, die in jedem schlummert. Natürlich agieren manche entgegen ihrer eigenen Wahrheit, aber selbst ein Dieb, der im Gefängnis sitzt, wird kaum behaupten, dass stehlen grundsätzlich in Ordnung ist. Das hält aber eine gesunde Demokratie leicht aus.
Wenn es aber wie jetzt so ist, dass geschätzt ein Drittel der Bevölkerung viele der Coronamassnahmen, zu denen sie gezwungen werden sollen, für unvertretbar halten, dann wird das zu einem Problem. Und wenn sich da viele andere bemüssigt fühlen, strengere Kontrollen und Überwachung zu fordern, dann wird das in eine Sackgasse führen.
So appelliere ich für Weite im Herzen, Vertrauen, Mut zur Vielfalt (das macht doch die Menschen aus!) und Tolleranz gegenüber Andersdenkenden.
Dazu gehört auch abzurücken von einer einseitig eingeforderten Solidarität, die diesen Namen nicht verdient.
In diesem Sinne mein Aufruf: Lassen wir uns doch nicht teilen und gegeneinander aufhetzen!