Ich weiß nicht wie es euch geht, aber für mich fühlt sich Post-Corona (oder eher Zwischendrin-Corona?) anders an als Vor-Corona. Nicht nur in Bezug auf mein Aktivitätslevel. Auch was die Wahrnehmung und das Erleben von Verbundenheit betrifft. Sosehr ich die Möglichkeit zu Konzentration und wenig Ablenkung während der Pandemie zu schätzen gelernt habe, sosehr erscheint mir im Rückblick immer wieder dieses Bild einer ununterbrochenen Gleichförmigkeit, am ehesten zu vergleichen mit einer Decke, die über dem Alltag liegt. Und das Bezogen Sein auf mich, mein kleines Umfeld, ergänzt durch private und berufliche Online-Verbundenheit. Nicht, dass ich mich nach ständiger Begegnung sehne, nach Dauer-Verbundenheit. Aber ich beobachte, wie sehr ich es schätze, Menschen zu treffen, die ich lange nicht gesehen habe, mich auszutauschen. Ich versuche bewusst solche Momente herbeizuführen und genieße sie. Es erfreut mich manche Fäden wieder aufzunehmen, einige hängen lose seit Jahren.
Vor kurzem ging es in einem Gespräch mit einem Freund, der, wie sich schnell herausstellte, einen sehr sympathischen und klugen Freund zu Gast hatte, um Sterbebegleitung, Freundschaft, Gruppen ähnlich gesinnter Menschen und die Kontinuität von Geschichten, wie sie etwa in Religionen tradiert werden. Ich habe mich am nächsten Tag gefragt, ob es überhaupt gelingen kann innerhalb einer (engen) Gruppe wirklich zu einem erwachsenen Individuum zu werden? Wir brauchen die Gruppe, keine Frage. Um uns verbunden zu fühlen mit Menschen, die uns von ihrer Lebensausrichtung/-haltung näher sind als andere. Viele suchen das in Glaubensgemeinschaften oder in politischen Parteien oder in Vereinen oder in Künstler-Kollektiven oder in Aktivisten-Gruppen oder in esoterischen Zirkeln oder in Familienverbänden oder wo auch immer. Für einige Gruppen kann man sich freiwillig entscheiden, bei anderen ist man kraft der Geburt einfach dabei.
Die Gruppe vermittelt Zugehörigkeit, Trost und im besten Sinne auch so etwas wie Sinn für das eigene Leben. Manche brauchen da mehr, manche weniger. Dennoch, ich wiederhole und frage mich: Kann man innerhalb einer – zumindest vom Mindset her – ziemlich homogenen Gruppe überhaupt zu sich kommen? Geht das? Ich neige eher zum eher nicht, beziehungsweise nur dann, wenn man in die Gruppe hinein und auch immer wieder hinaus gehen kann. Physisch und gedanklich. Die Identifikation also niemals so stark wird, dass sie sich wie ein Korsett um das eigene Leben legt. Dass wir als Menschen in ständigen Ausgleichs-Beziehungen zwischen Individuum und Gruppe unterwegs sind, sagt uns schon die Evolutionsbiologie.
In der Pandemie ging ja ganz wenig Gruppe, zumindest analog. Vieles hat sich ins Netz verlagert, nicht unbedingt zum Vorteil des Niveaus politischer Diskussionen. Dafür war ganz viel Individuum. Für viele viel zu viel. Und jetzt? Ich kann hier nur für mich sprechen: die Gruppe ist für mich weniger denn je attraktiv. Dafür aber die individuellen Begegnungen, einzelne, mehrere, aber vor allem unterschiedliche Menschen möchte ich treffen. Mehr denn je zieht es mich zu Menschen, die mich interessieren und die mir ihre Geschichten erzählen.
Ebendieser Freund erzählte an dem Abend auch von seinen Studienfreunden mit denen er bis heute in Kontakt ist und meinte, dass da keiner dabei sei, der oberflächlich-dummes Zeug erzählen würde. Auch wenn man anderer Ansicht sei, lohne es sich immer die jeweils anderen Argumente anzuhören. Die Spezifikation was als dummes Zeug gilt, ist wohl durchaus individuell. Meine Schmerzgrenze gebe ich zu hat mit Pandemie, Krieg und Klimawandel eher ab- als zugenommen.
So mache ich mich in diesen Tagen und Wochen immer wieder auf und treffe Menschen und fühle mich für diese Momente der Begegnung verbunden mit ihnen. Ein schönes Gefühl. Mehr glaube ich, brauche ich gar nicht in dieser komplizierten und zum Teil geradezu schizophrenen Zeit.
Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es doch irgendjemand schafft, Putin zu entsorgen. Als Schritt zu einer besseren und lebenswerteren Welt.
Wie geht es euch?
Yours,
Frau Susi
PS Vielleicht habt ihr ja wieder mal Lust auf meinem Sustainable Fashion Blog vorbeizuschauen? Aktuell stelle ich da ein sehr interessantes Kreislauf-Projekt vor.
Und bei “Wie geht Zukunft?” habe ich mich vor kurzem mit zwei engagierten Südtiroler Frauen vom Netzwerk für Nachhaltigkeit über die SDGs, die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen und ihre Umsetzung in Südtirol unterhalten. Hier geht’s zum Podcast.