In den letzten Tagen und Wochen ist mir das Thema immer wieder durch den Kopf gegangen. Ich wollte über das Mutter-Sein schreiben. Die Gedanken fingen irgendwo an, drehten sich im Kreis, brachen ab, Bilder kamen dazu, Gedanken wurden wieder aufgenommen ganz woanders, Gefühle mischten sich dazwischen und es hört nirgendwo auf. Das Thema ist monströs groß, die ganze Welt hat sich daran abgearbeitet und tut es immer noch. Zuneigung, Schmerz, Schuld, Liebe, Eifersucht, Freude, Wut, Verletzlichkeit liegen sehr eng beieinander und sich damit zu beschäftigen, ist kein gemütlicher Spaziergang, sondern ein Minenfeld.
Gleich vorweg. Mein Mutter-Sein gehört zu meinen besten Lebenserfahrungen. Mutter bin ich mit 28 geworden, geplant war es nicht. Mein Sohn gehört zu meinen größten Freuden, seine Mutter zu sein ist die selbstverständlichste Rolle in meinem Leben, dennoch war mir von Anfang an klar, Mutter-Sein ist ein Teil meines Lebens.
Mit dem Muttertag an sich hatte ich immer gewisse Schwierigkeiten. Die Nazi-Konnotationen sind ungut. Erfunden haben sie den Tag zwar nicht, das geht auf eine engagierte Christin in den USA Anfang des letzten Jahrhunderts zurück, aber die Nazis haben den Muttertag zum offiziellen Feiertag erklärt, das Mutterkreuz eingeführt und einen unerträglichen Mutterkult zelebriert. Die deutsche Mutter war eine der Stützen des Regimes. Die Überhöhung der Mutter, die immer auch ein Akt der Aggression ist, erschwert eine nüchterne Auseinandersetzung mit dem Thema. Und die braucht es gerade bei so hochemotional besetzten Beziehungen. Niemand sucht sich seine Mutter aus, wir müssen mit dem zurechtkommen was ist, manche Mütter sind eine lebenslange Bürde, manche machen´s einem leichter und manche sind richtig toll.
Die Gedichte und Topflappen, die ich im Kindergarten und in der Schule anlässlich des Tages fabriziert habe, waren meist Modell Staubfänger und ästhetisch fragwürdig, die Gedichte und Basteleien, die ich bekommen habe, ebenso. Die Klischees und patriarchalen Zumutungen, die aus den offiziell hergestellten Muttertags-Beglückungen heraustrieften, waren einfach nur ärgerlich. Mir fehlt der direkte Einblick ins Heute, hat sich das verändert?
Die Mutter ist natürlich eines der kollektiven Phantasmen, das unser Leben, unsere Gesellschaft prägt. ALLE haben dazu etwas zu sagen und haben das Bild mitgestaltet, nicht immer zum Besten: Religion, Psychologie, Philosophie, Psychoanalyse, Soziologie, Anthropologie, Geschichtswissenschaften, Biologie, u name it. Ich selbst habe mich auch in sehr viel Lektüre, Theorie, Praxis und Therapie gestürzt.
Was dabei herausgekommen ist? Die Erkenntnis, dass es ein langer, vermutlich nie abgeschlossener Prozess ist. Dass sich dieser Prozess aber wirklich lohnt, denn einiges ist veränderbar. Und, dass das Leben wirklich beginnt viel Spaß zu machen, wenn man zumindest überwiegend selbst am Steuer steht.
Nicht wenige Mütter brauchen ihre Kinder mehr als umgekehrt. Da wird festgehalten und geklammert mit allen Mitteln, offensichtlichen und ganz subtilen. Ich halte nichts davon auf gute Freundin, lässige Kollegin zu tun, ich bin nicht die Freundin meines Kindes, ich bin die Mutter. Die Rolle ist eine andere und das sollte man auseinanderhalten.
Die Macht der Mutter ist natürlich keine Erfindung. Das wissen wir ja alle. Mit dieser Macht verantwortungsvoll umzugehen, das sollte unsere Aufgabe als Mutter sein. Unsere Kinder gehören uns nicht, Ziel ist es, sie möglichst gut ausgerüstet in die Welt hinaus zu schicken, dass sie ihren eigenen Weg gehen können. Darum habe ich mich zumindest bemüht. Einiges ist gelungen, anderes wird mein Sohn selbst in die Hand nehmen müssen und für sich lösen. Auch wenn ich mal unterstelle, dass wir Mütter es alle gut machen wollen, ist es natürlich nicht immer gut, was wir machen. Ich für mich muss sagen, war sicher nicht selten eine Nervensäge und auch Belastung für meinen Sohn und bin es bei einigen Themen wohl immer noch.
Bei allen kollektiven Erkenntnissen und Zuschreibungen an die Mütter, bleibt einem dann aber doch nichts anderes übrig, als sich seinen eigenen Weg zu bahnen, sei es in Bezug auf die eigene Mutter, sei es in Bezug auf seine Kinder. Sich dabei blind auf sein Bauchgefühl zu verlassen, davon rate ich ab. Es braucht schon eine Portion Arbeit an sich selbst, um nicht alles zu wiederholen, was schon Generationen vor uns (falsch) gemacht haben.
Meine Mutter ist vor zwei Jahren in eine tiefe Depression gerutscht, nicht zum ersten Mal. Wenn der Mensch, der einem das Leben geschenkt hat, eigentlich nicht mehr leben will, dann ist das … das ist schwer zu beschreiben. Es ist jedenfalls eine existenzielle Erfahrung und Herausforderung. Mir, und da kann ich nur von mir sprechen, haben meine Disziplin geholfen, mein Mitgefühl für menschliches Leid, die konsequente Arbeit am Thema und die Unterstützung von einigen Menschen. Es hat den Blick nochmals unmissverständlicher auf das eigene Leben gerichtet, mir aber auch deutlich gezeigt, dass Lebensentscheidungen anderer, auch naher Menschen, zu akzeptieren sind, so verknotet und bedrückend sie sein mögen. Auch Kinder haben kein Recht hineinzugreifen in das Leben der Eltern, es ist und bleibt immer ein eigenständiges. Ich bin dankbar, dass ich dieses Leben von meinen Eltern bekommen habe, ich lebe sehr gerne.
Ein Kind braucht verlässliche und liebevolle Beziehungen zu seinen Eltern, ganz besonders am Anfang des Lebens. Das bestätigt die Wissenschaft. Diese Beziehung verändert sich mit dem erwachsen werden, sie wird weniger eng, auch die Beziehung wird erwachsener. Und dann gibt es den Zeitpunkt, finde ich, ab dem man vor allem wohlwollender Gast im Leben seiner Kinder sein sollte.
Vor kurzem habe ich in der Küche meiner Eltern einen alten, verfilzten und verstaubten Muttertags-Topflappen? Untersetzer? gefunden. Ich hab ihn mitgenommen, gewaschen und gebügelt. Und muss sagen, so hässlich ist der gar nicht, im Gegenteil, die Farbzusammensetzung ist richtig gut.
In diesem Sinne wünsche ich uns einen guten Muttertag, am 9. Mai ist es ja wieder soweit.
Wie geht’s euch mit diesem Tag? Der Vatertag konnte sich ja nicht wirklich zu einem populären Tag durchsetzen… Bin gespannt was ihr Mütter, Väter, Töchter und Söhne dazu zu sagen habt!
Yours,
Frau Susi
Was sonst noch los ist:
Im Sustainable Fashion Blog stelle ich euch den beeindruckenden und originellen Pusterer Handweber Herman Kühebacher vor. Ab morgen Mittwoch online.
Hier findet ihr alle Lockdown Aufzeichnungen, der erste Teil erscheint bald als Publikation, Teil 2 folgt dann im Sommer.
Und am 11. Mai um 20 Uhr steht wieder eine “Wie geht Zukunft?” Radio Sendung auf dem Programm. Mein Gast ist die Volkskundlerin und Philosophin Elsbeth Wallnöfer, ihr habt sie hier bereits im Heimat-Text kennengelernt. Sie hat mich zum Nachdenken über Heimat inspiriert. Ihr könnt live mithören, podcast-link folgt.