#42 Frau Susi war in Turin
Manchmal fühlen sich zwei, drei Tage woanders wie eine sehr lange Zeit an. Ich meine natürlich im Guten. Davon auch nicht wenige Stunden im Auto, in bester Gesellschaft. So zugetragen vor einiger Zeit mit Mann und guter alter Freundin unterwegs im Piemonte. Keine Sorge, hier kommt jetzt kein Reisebericht oder die Aufzählung all dessen, was wir Wunderbares gegessen und getrunken haben. Sondern ich berichte über eine Beobachtung, die wir alle drei gemacht und im gemeinsamen Gespräch noch genauer zu beschreiben versucht haben. Das Wetter war miserabel, daher statt Barolo-Wanderung ein Tag in Turin. Wir sind trotz Regen viel gegangen und haben viel gesehen.
Turin ist eine Stadt, die nicht unbedingt auf der Massen-touristischen Route liegt. Sie hat eine imperiale Vergangenheit, das bedeutet beeindruckende Gebäude, große Boulevards und vor allem sehr großzügige Gehsteige. Was Turin aber von ähnlich ausgestatteten Städten unterscheidet: diese Stadt scheint vor allem für sich und ihre Bewohner*innen da zu sein. Sie richtet sich nur wenig und wenn dann sehr entspannt an Gäste, auch wenn alle freundlich und hilfsbereit sind. Aber die Stadt und die Turiner*innen machen ihre Sache, sind mit sich beschäftigt. Nicht alles wird nach außen gestülpt, kein Heimat-Theater gespielt und man versucht sich auch nicht rechts und links nach den Wünschen von anderen zu richten. Was für eine Wohltat. Das wirkt sich auch auf die Atmosphäre in der Stadt aus. Ich würde sagen, es fühlt sich souverän, großzügig und gelassen an.
Ganz anders das, was wir im schönen Südtirooool erleben. Wer möge mir widersprechen, wenn ich sage, dass der in der Zwischenzeit fast ganzjährige Touristenansturm, in Bozen zum Beispiel, ziemlich unerträglich geworden ist. Die Qualität sinkt, die Preise steigen und die Stadt ist ständig voll. Von Gelassenheit keine Spur. Wer kann bleibt in seinen vier Wänden und lässt die fröhlich wanderbekleideten Touri-Ströme durch- und vorbeiziehen. Dazu hab ich auch schon mal einen Blog-Artikel geschrieben, also über Touristen die einen Stadtbesuch mit einem Wanderausflug verwechseln.
Das kann man aber jetzt natürlich nicht nur den Touristen in die Schuhe schieben, das meiste ist schon hausgemacht. Erst kürzlich vermeldete ein offensichtlich besonders begabter Bozner Stadtpolitiker, dass das Museion (Museum für moderne und zeitgenössische Kunst) eine leere Schachtel sei und eh niemanden interessiere. Man solle doch bitte den Ötzi dort unterbringen um so noch mehr Menschen anzuziehen. Well. Man kann zum Museion stehen wie man möchte, aber diese Ignoranz ist schon beeindruckend.
Da ich schon öfters in Turin war hat das Beobachtete auch nichts mit dem Wetter und der Jahreszeit zu tun. Eine Stadt, die für sich und ihre Leute da ist, das soll ab nun einer meiner Parameter für Städte-Besuche sein. Gastfreundschaft ist wichtig, aber Ausverkauf der eigenen Stadt, des eigenen Landes keine schöne Sache. Wie schaut das in eurer Stadt aus?
Yours,
Frau Susi
Übrigens: Südtirol hat einen neuen Nächtigungsrekord zu verzeichnen. Trotz Bettenstopp rattert es weiter nach oben: Von 34,4 Mio. (2022) auf 36,1 Mio. im letzten Jahr, das bedeutet ein Plus von fast 5%. „Hinter den nackten Zahlen steht zum einen ein Zugewinn von Wohlstand und Beschäftigung, die niemand in Abrede stellt. Noch mehr aber wiegen die radikale Veränderung von Landschaft, Mobilität und Preisniveau, vor allem der Grundstückspreise“, heißt es dazu in einer Presseaussendung der Grünen.