#30 Merry Christmas!
Frau Susi wünscht sich vom Christkind eine Welt, die an die Wissenschaft glaubt
Liebe Newsletter-Freundinnen und -freunde!
Zuallererst möchte ich mich bei euch bedanken. Für eure Gefolgschaft und euer Feedback. Die meisten Reaktionen erhalte ich ja via Mail und WhatsApp. Was als Experiment im 3. Lockdown seinen Anfang nahm, ist für mich zu einem Projekt geworden, das mir sehr ans Herz gewachsen ist. Und dann möchte ich euch natürlich auch gute und erholsame Tage wünschen und einige Gedanken mit in die Feiertags-Sause(n) schicken.
Die Pandemie hat uns ja immer noch fester im Griff als ich mir das vorgestellt hätte. Die dritte Impfung ist bereits drin im linken Oberarm und ich bin sehr dankbar in einem Land zu leben, wo es die Möglichkeit dazu gibt, sich und vor allem andere im Rahmen der Möglichkeiten zu schützen. Die Aussichten auf die neue(n) Variante(n) drücken aber gerade auf mein Gemüt. Diese Zeit braucht so viel Kraft. Kraft, die weit besser eingesetzt werden könnte. Das, was sich in einigen Ländern an „NoVax“-Widerstand formiert hat, ist in meinen Augen allmählich so jenseits des Erträglichen, dass mir ab und an die Worte fehlen. Für Frau Susi ein eher seltener Zustand. In Extrem-Situationen aber zeigt sich was ist.
Für mich wirkt sich diese Pandemie natürlich auch beruflich aus. Veranstaltungen wurden und werden abgesagt, es braucht nach jedem Lockdown fünf bis sechs Monate bis es wieder richtig zu laufen beginnt, zusätzliche Auflagen erschweren Austausch, Kontakte und das Entwickeln neuer Projekte, die Liste lässt sich fortsetzen. Die Auswirkungen auf privater, beruflicher und gesellschaftlicher Ebene sind so weitreichend und tiefgreifend, dass es mir immer schwerer fällt nachzuvollziehen und zu akzeptieren, dass im Pandemie-Diskurs Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der Leute überhaupt nicht (mehr) ankommen und zum Teil geradezu bekämpft werden.
Was mich dabei besonders betroffen macht: ein Teil der Nachhaltigkeits- und Bio-Szene macht hier eine „brutta figura“. Sie sollten eigentlich an der Spitze des gesellschaftlichen Wandels stehen. Leider zeigt sich in der Pandemie, wie dogmatisch noch vieles läuft. Ein gutes Beispiel dafür ist die in meinen Augen in einigen Belangen ja sehr sympathische Anthroposophie. Ihre Wurzeln – Herrenmenschendenken, Rassismus, Antisemitismus, Irrationalität, Verschwörungsvorstellungen, Wissenschaftsfeindlichkeit – lassen sich aber nicht mehr länger biodynamisch unter den Teppich kehren.
Wissenschaft ist nicht gleichzusetzen mit Wahrheit. Kein ernstzunehmender Wissenschaftler, keine ernstzunehmende Wissenschaftlerin würde sowas behaupten. Dazu reicht es eigentlich nur auf Wikipedia nachzulesen, was Wissenschaft denn bedeutet: „Die Wissenschaft ist ein System der Erkenntnisse über die wesentlichen Eigenschaften, kausalen Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der Natur, Technik, Gesellschaft und des Denkens, das in Form von Begriffen, Kategorien, Maßbestimmungen, Gesetzen, Theorien und Hypothesen fixiert wird. Die Wissenschaft ist auch die Gesamtheit von Erkenntnissen und Erfahrungen, die sich auf einen Gegenstandsbereich beziehen und in einem Begründungszusammenhang stehen. Wissenschaft bezeichnet auch den methodischen Prozess intersubjektiv nachvollziehbaren Forschens und Erkennens in einem bestimmten Bereich, der nach herkömmlichem Verständnis ein begründetes, geordnetes und gesichertes Wissen hervorbringt.“
Das ist was anderes als bloß Meinungen zu haben, etwas zu behaupten und aus dem Bauch heraus zu argumentieren. Wissenschaft steht immer in einem zeitlichen und kausalen Zusammenhang. Und ich rede hier auch nicht von den paar % „Wissenschaftler*innen“, die diese Bezeichnung eigentlich gar nicht verdienen, weil sie eine persönliche Agenda pflegen oder unlauter arbeiten. Dass wissenschaftliche Erkenntnisarbeit nicht jede und jeder leisten kann ist klar. Aber wieso bekämpft man Leute, die das für uns machen und uns ihr Wissen zur Verfügung stellen? Ich rede hier nicht einer blinden Wissenschaftsgläubigkeit das Wort, seinen Verstand muss man deshalb nicht abgeben, aber eine sachliche Einschätzung der eigenen intellektuellen Möglichkeiten und auch der Bereitschaft sich tiefgehend mit etwas zu beschäftigen, erwarte ich mir ehrlich gesagt schon.
Ein wissenschaftsgeleitetes Handeln ist in meinen Augen unablässig für die Bewältigung der Herausforderungen, die wir zu stemmen haben. Wenn schon Corona eine solche Kraftanstrengung erfordert, frag ich mich etwas bange, wie schaut’s dann mit dem Klimawandel aus? Haben wir dazu überhaupt noch die Kraft und die Bereitschaft, das zu tun, was zu tun ist? Vor kurzem habe ich länger mit dem von mir sehr geschätzten Klimaforscher Georg Kaser telefoniert. Ich wollte von ihm wissen, wie ein 1,5 Grad Lifestyle aussehen müsste. Das, was Georg dazu zu sagen hat, stimmt nicht gerade heiter. Wir müssten zuerst dringend auf einen Zero Emissionen Lifestyle schalten. Und wenn es uns noch gelingen sollte, 1,5 Grad zu stabilisieren, könnten wir in rund 20 Jahren über einen 1,5 Grad Lifestyle nachdenken.
Ich bin dankbar, dass es Wissenschaftler und Menschen wie ihn gibt, die es auf sich nehmen, auch das Unangenehme (evidenzbasiert!) klar und deutlich und öffentlich auszusprechen. Denn dafür wird man nicht geliebt, nein, meistens eher angefeindet. Vor zwei Jahren habe ich mit ihm auch eine Radiosendung aufgenommen. Hier gehts zum podcast.
Diesen zum Plädoyer mutierten Newsletter möchte ich mit dem von mir ebenfalls sehr geschätzten Soziologen Heinz Bude abschließen – ich zitiere aus Teil 2 der Lockdown Aufzeichnungen, aus dem Gespräch, das ich mit ihm für dieses Projekt heuer im Frühjahr geführt habe: „Ich habe nach dem populistischen Phantasma der gewählten Wahrheiten aber auch die Wiederkehr der Wissenschaft erlebt. Und noch mehr als vorher bin ich davon überzeugt, dass Wissenschaft und Demokratie einen inneren Zusammenhang bilden. Viele sagen, ,Die Wissenschaft als Technokratie unterläuft die Demokratie’, ich glaube, genau das Gegenteil ist der Fall: Eine demokratische Welt, die nicht an die Wissenschaft glaubt, ist keine demokratische Welt.“
In diesem Sinne, Merry Christmas!!!
Yours,
Frau Susi
PS Und was war sonst noch los? Für meine Radiosendung „Wie geht Zukunft?” habe ich mit Birgit Mayr, Roland Novak und Christian Girardi über den Begriff Schönheit diskutiert. Das ist gar keine ganz einfache Sache. Weder in Philosophie, noch Psychologie, noch Kunstwissenschaften, noch Naturwissenschaften gibt es eine einheitliche Definition für Schönheit. Also wer oder was sagt uns, was schön ist? Hier gehts zum podcast.
Und im Sustainable Fashion Blog geht´s zweimal um Fashion Activism: einmal von Fridays for Future und einmal von Fashion Revolution
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Liebe Frau Susi!
Mit „Frohe Weihnachten“ tue ich mich heuer schwer, gönne sie aber natürlich jedem, der sie so empfinden kann!
Auf weitere Beiträge von Frau Susi 2022 freue ich mich!
Noch ein Zitat von Wittgenstein: Fakten gehören immer zur Frage und nicht zur Antwort.
Und Frau Susi kann man evidenzbasiert nur weiterempfehlen und sich auf 2022 freuen 👍💯