Dass der Bozner Christkindlmarkt einmal ausfallen könnte, hätte ich mir selbst in den kühnsten Träumen nicht träumen lassen. Letztes Jahr war es pandemiebedingt tatsächlich so. Kein Markt, keine Piumini (kennt ihr nicht? – wird etwas später aufgeklärt), dafür ein großer Baum und tatsächlich ein wenig schüchterne Weihnachtsstimmung. Das hat mich darin bestärkt, dass selbst scheinbar unvorstellbare Dinge geschehen können, im Guten wie im weniger Guten.
Dass ich kein überaus großer Fan dieses Marktes bin, könnt ihr euch vermutlich jetzt schon vorstellen. Mein Sohn hat mich deshalb immer wieder gerügt, er meinte mir fehle die entsprechende Weihnachtsromantik. Mag sein, aber ganz so einfach ist es nicht.
Ich bin aufgewachsen mit dem Innsbrucker Christkindlmarkt, der meist bei entsprechender Winterstimmung klein und schnuckelig in der Altstadt stattfand. Es gab Zuckerwatte, später Punch und Glühwein, natürlich roch es auch dort nach schlechtem Fett und gab es allerhand Ramsch, aber alles in allem, war der Christkindlmarkt meiner Kindheit und Jugend da für die Einheimischen und ein beliebter Treffpunkt. Der Christkindlmarkt gehörte zu Weihnachten wie die von mir heiß geliebten Windringel (aus Meringue). Und ich bin wirklich nicht gegen Weihnachts-Klimbim. Lichter, halbwegs geschmackvolle Deko, Punch, Kekse, Adventskranz… alles bestens.
Viele Freund*innen erinnere ich mich fanden Weihnachten uncool und mühsam, ich habe es eigentlich immer sehr gemocht. Das Essen war ein Ritual und sehr gut, es gab immer viele Geschenke, trotz regelmäßiger Familien-Streits am 24. war dann rechtzeitig alles wieder bereinigt und es konnte losgehen. Die gesamte Abwicklung des Abends folgte einem wenig Veränderungen unterworfenen Protokoll. Nur die Personen, die teilnahmen, änderten sich. Die Linzer-Oma starb, dann der Innsbrucker Opa, dann die Innsbrucker Oma, dann kamen Partner dazu, ein Kind… Heute, naja, Weihnachten ist nicht mehr das, was es mal war für mich.
In meiner Studienzeit in Wien war es der Weihnachtsmarkt am Spittelberg wo alle hingingen, der große, laute beim Rathausplatz war tabu. Als ich nach Bozen kam, war ich einigermaßen überrascht, dass man das, was ich hier antraf, Christkindlmarkt nennt. Der Bozner Markt ist ja jungen Ursprungs, 1991 fand er das erste Mal statt. Und in meinen Augen hatte er den Charme eines Lagers, ich fand die Baracken schauderhaft. Im Laufe der Jahre hat sich seine anfängliche Charmefreiheit ein wenig gebessert, irgendwann haben die Südtirol-Marketing-Spezialisten Hand angelegt und die Original Südtiroler Christkindlmärkte etabliert. Eine original herzhafte Stimmung sollte nun einziehen und die klingt so: „Es duftet nach Zimt und Gewürzen, nach Bergholz und selbstgebackenem Kuchen, nach Glühwein und festlich geschmückten Tannenbäumen. Das Licht der festlich geschmückten Holzhäuser und das vom Weihnachtsbaum leuchtet in den Augen der Kinder wieder. Die süßen Töne von Weihnachtsliedern und fröhlicher Harmonien wehen durch die Luft.“ Genau.
Über das Verkaufsangebot auf dem Markt kann ich wenig sagen, denn ich habe noch nie was gekauft. Ich schätze mal, dass das meiste Ramsch aus China ist, upgedatet mit lokalen Produkten. Aber natürlich kann ich mich da irren. Christkindlmärkte sollten uns in Weihnachtsstimmung versetzen finde ich. In einigen Dörfern gelang das auch, bis sie touristisch überrannt wurden. Denn als italienische Touristen begannen, die Christkindlmärkte des Nordens zu entdecken und sintflutartig über Städte und Dörfer hereinbrachen, war es mit der Weihnachtsstimmung vorbei. An halbwegs angenehme Weihnachtseinkäufe oder feine Punchrunden in der Stadt war nicht mehr zu denken. In Weihnachtsstimmung konnte man sich höchstens zuhause oder in der Natur bringen.
Und wer sind nun die Piumini? Südtiroler kennen den Ausdruck Piumino für Anorak natürlich. Die Besucher*innen der Christkindlmärkte sind schon von weitem zu erkennen, sie schauen alle gleich aus und bewegen sich in Gruppen. Was früher die „Montoni“ (Schaffelljacken) waren sind jetzt die „Piumini“. Lange dunkle Anoraks überall.
Also war ich trotz Pandemie letztes Jahr wirklich recht guter Dinge, weil uns diese unweihnachtliche Weihnacht erspart blieb. Und heuer? Heuer waren die Macher*innen wild entschlossen, den Christkindlmarkt irgendwie stattfinden zu lassen. Auch wenn fast nirgendwo pandemiebedingt welche stattfinden. Ob das schlau war, werden wir in einigen Wochen sehen. Aber es ist ein Christkindlmarkt light geworden. Noch pressen sich keine Massen durch die Gassen. Mal sehen, ob es dabei bleibt. Nett finde ich die lebenden, in Jute eingepackten, Christbäume in der Laubengasse und dass auch Kunst wieder ihren Platz hat im vorweihnachtlichen öffentlichen Raum.
Vielleicht ist das ja die Lösung für die Zukunft? Eine Version light? Dass wir alle ein bisschen Weihnachtsstimmung haben können und uns nicht nur mit Piumini-Massen, Ramsch und Jahrmarktsstimmung herumschlagen müssen? Diese Variante wäre auch ein klitzekleines Stück näher am 1.5-Degree Lifestyle, den wir uns in den nächsten Jahren sowieso zu eigen machen müssen, wenn wir die Klima-Kurve noch kriegen wollen. In einem Gespräch, das ich vor kurzem mit einer jungen Frau für meinen Sustainable Fashion Blog geführt habe (erscheint nächste Woche), hat sie eine andere junge Frau zitiert– beide sind Klima-Aktivistinnen – und diese junge Frau bezeichnet sich weder als Optimistin noch als Pessimistin, sondern als Possibilistin und das bedeutet: Man weiß wie schlecht es steht, es ist aber möglich, das noch zu verändern. Das wünsche ich mir auch für den Bozner Christkindlmarkt!
In diesem Sinne, alles Beste zum zweiten Advent!
Yours,
Frau Susi
Und sonst? Im Blog schreibe ich über meine erste Style/Mode-Beratung, über das zirkuläre Babybekleidungs-Projekt von Lisi Tocca CORAcircle und über Tücher, die Freude machen, solltet ihr noch auf der Suche sein nach besonderen Weihnachtsgeschenken.
Ja und Teil 1 und Teil 2 der Lockdown Aufzeichnungen wurden präsentiert. Also die analoge Version.
Die online-Version gibts hier.
So, das wars für Heute. Jetzt gehts wieder zum Borscht kochen. Solltet ihr das Rezept (von meiner Schwiegertochter to be Francisca) haben wollen, schreibt mir.
Piumini - das trifft, oder besser traf, es wirklich sehr gut!
Nun, bis vor zwei Jahren musste ich die Christkindlmärkte großräumig meiden, so unerträglich überfüllt war es dort. Aber ehrlich gesagt, ich mochte das Herumgestehe mit den meist langweiligen Gesprächen in der Kälte nie sonderlich. Wahrscheinlich schmeckte mir der Glühwein zu wenig, als dass ich in Stimmung gekommen wäre.
Vor wenigen Tagen spazierte ich abends durch die Innsbrucker Altstadt an den verwaisten (wegen Lockdown geschlossenen) Ständen vorbei. Irgendwie hatte das etwas stimmungsvolles, weil echtes, reduziertes, aufgelöstes. In der Eigenartigkeit schön.
Ansonsten mag ich im kalten Winter, wenn es schneit, in die Wärme kommen, in die Buchhandlung Tyrolia zum Beispiel, in Reisebüchern vom Sommer träumen.
Schwimmen ins Hallenbad gehe ich zwischendurch auch gerne und erfreue mich am Bild, wenn sich eine hübsche Frau aus dem dicken Wintergewand und den Stiefeln schält und plötzlich verwandelt barfuß und im Bikini vor einem steht, während es vor den Fenstern schneit. Jetzt komme ich vielleicht in den Ruf eines Spanners, aber das würde nur zutreffen, wenn das meine Motivation wäre, ins Schwimmbad zu gehen. Da kann ich beruhigen, wenn, dann gehe ich schon um des Schwimmens willen hin. Dass ich die Augen für schönes dabei nicht verschließe, sei mir verziehen.