Liebe Newsletter-Freundinnen und -Freunde,
ich war gerade beim Staubsaugen, als meine Gedanken begannen sich selbstständig zu machen. Ich saugte herum und dachte so vor mich hin… Würde unsere Politik, unsere Gesellschaft anders aussehen, wenn Verbandspräsidenten, Politiker, Vorstände, Vorsitzende, Direktoren und sonstige gerne sich wichtig nehmende Verantwortungs- und Würdenträger ihre Hemden selbst bügelten? Ihre Socken stopften? Oder regelmäßig ihre Wohnung saugten und sauber machten, mal das Klo putzen würden? Oder ihre Kinder nicht nur ab und zu abholten von Schule und Kindergarten, sondern für einige der Aufgaben ganz verantwortlich wären? Noch sind die Spitzenfunktionen, zumal in Südtirol, recht fest in männlicher Hand. Da gibt es zum Beispiel Boards, da fragt man sich in welchem Jahrhundert man/frau gelandet ist. Nehmen wir doch Südtirols Vorzeige-Innovationsschmiede NOI, im Board samt CEO keine einzige Frau. Schaut richtig innovativ und divers aus oder?
Meine Antwort darauf, ob Politik und Gesellschaft anders aussehen würden, lautet JA. Selbst auch Hand anzulegen gibt einem ein klareres Verständnis für die eigene Bedeutung und Rolle im Leben. Abheben wäre dann wohl eher die Ausnahme. Auch was als wichtig eingestuft wird, relativiert sich. Vor allem der Glaube daran, dass die eigene Bedeutung in Korrelation mit der Dichte von Terminen, Sitzungen, Ansprachen, geheimen Absprachen, keine Zeit haben, ständigem Sondieren und ununterbrochener Medienpräsenz usw. zusammenhängt. Wer den Bezug für den Alltag und seine oft auch recht lästigen Pflichten verliert, versteht eigentlich nicht mehr, wie das Leben läuft. Wenn zum Beispiel ein Herr Kurz (Ex-Kanzler der Operettenrepublik Österreich) sich um geputzte Fenster und sein eigenes blütenreines Hemd hätte kümmern müssen, hätte er vermutlich weniger Zeit damit verbracht, nur die Fassade seiner Persönlichkeit blank zu polieren und vielleicht doch mehr Respekt entwickelt für die täglichen, auch lästigen Pflichten des „Pöbels”, wie Leute aus seinem engsten Umfeld Bürger*innen bezeichnen, bei denen es etwas einfacher und normaler zugeht, sprich, die einen Alltag haben.
Versteht mich nicht falsch, auch ich habe Unterstützung im Alltag. Aber ich bin täglich mit ziemlich viel Alltags-Zeugs beschäftigt. Nicht, dass ich das so toll finde, aber es gehört dazu!!! Mit drei Rufzeichen. Dabei ist es durchaus von Vorteil, wenn man wie ich, selbstständig und viel von zu Hause aus arbeiten kann. Das Staubsaugen zwischendurch oder Kochen oder Aufräumen oder Bügeln oder Pflanzen gießen dient auch dazu den Kopf zu entlasten, frei zu werden von dem, was man gerade intensiv gemacht oder gedacht oder geredet hat. Kreativität braucht Freiräume und erstaunlicherweise kann man die durchaus auch bei solchen Tätigkeiten finden.
Stichwort Freiräume. Ich schmunzle, manchmal ärgere ich mich auch einfach nur, wenn Politiker über Innovation und Kreativität große Reden schwingen. Bitte, was versteht ihr wirklich davon? Keine Ansprache ohne die großen Worte Innovation, Digitalisierung, Kreativität und seit kurzem auch Nachhaltigkeit. Für all die Themen braucht es frische Ideen, kreative, neugierige und unkonventionelle Köpfe und Persönlichkeiten zur Rahmensetzung, denen man die Themen auch abnimmt. Eigeninteressen, das Streben nach dem eigenem Machterhalt fernab der Alltagsrealität(en) vertragen sich ganz schlecht damit. Klar, natürlich gibt’s auch ein paar Leute in wichtigen Positionen, die das hinkriegen.
Unsere Welt im Großen wie im Kleinen schaut so aus, wie die Leute, die sie gestalten. Dass diejenigen, die große Gestaltungsmöglichkeiten haben sehr viel mehr Verantwortung für unsere Welt tragen ist einleuchtend oder? Vermutlich hängt das Unvermögen vieler Entscheidungsträger*innen auch damit zusammen, dass manches nie gelernt und manches mit dem eigenen Bedeutungsaufstieg verlernt wurde. Ich wäre dafür, zumindest mal in Europa, für alle Männer und Frauen ein verpflichtendes soziales Jahr einzuführen. Wo man lernt sich um andere zu kümmern, Dienst an der Allgemeinheit verrichtet und mithilft, wo es Hände braucht, dabei auch die ein oder andere Fertigkeit erlernt und genügend Zeit hat, das, was man gerade tut, auch zu reflektieren.
Auch plädiere ich dafür, dass Politiker und Politikerinnen, Vorstandsvorsitzende und wer sie alle sind, nur mehr mit selbst gewaschenen und gebügelten Hemden erscheinen dürfen. Dann hätten sie zumindest in dieser Zeit ein wenig Zeit nachzudenken oder ihren Gedanken freien Lauf zu lassen und würden nicht vergessen, was es heißt, auch alltägliche Pflichten wertzuschätzen. Nein, Golf spielen und sonstiger Sport und Jagd und Hubschrauber fliegen usw. zählen hier nicht dazu.
Und es wäre dann natürlich auch weniger Zeit für sinnlose Ansprachen, die, Hand aufs Herz, eh kaum jemand mehr hören möchte. Natürlich braucht es dazu eine ziemlich komplette Systemveränderung und dass auch niemand mehr schräg angeschaut oder als Weichei (häufig verwendeter Ausdruck in Südtirol für zu wenig männliches Verhalten) abgetan wird, wenn zum Beispiel ein Herr Orbán oder Herr Salvini oder Herr Kaczyński oder Herr Söder oder Herr Diess oder Südtirols Buskönig Herr Gatterer sagt, er müsse auf seine Rede heute leider verzichten oder die Sitzungszeit empfindlich beschränken, da er noch seine Hemden bügeln oder die Socken stopfen möchte zuhause.
Auf welche Gedanken einen das Staubsaugen so bringen kann…
Auf eure Gedanken dazu freue ich mich!
Yours,
Frau Susi
PS Mein Mann bügelt seine Hemden meist selbst und ist ein sehr begabter Socken- und Mottenlöcher-Stopfer, viel besser als ich; bei meinem Sohn war ich etwas nachlässig mit den alltäglichen Pflichten, aber er hat aufgeholt und seine Sachen bügelt er seit langem selbst.
PPS Im Blog gehts diese Woche um die fairen und nachhaltigen Fashion-Aktivitäten der OEW-Organisation für Eine solidarische Welt.
…und Haushalt: Vom Bügeleisen halte ich zwar fern, bin aber sonst recht fleißig. Ich stimme Dir zu, es schadet mir nicht😂
Meine Zeit als Zivildienstleistender mit der Möglichkeit zur Begegnung mit erwachsenen geistig Behinderten habe ich noch in sehr guter Erinnerung und meine jüngere Tochter hatte diese Chance (freiwilliges soziales Jahr ebendort) heuer auch genutzt.