Vor kurzem habe ich ein Radiogespräch für meine Sendung „Wie geht Zukunft?” aufgenommen mit der fabelhaften und sympathischen Volkskundlerin und Philosophin Elsbeth Wallnöfer. Sie hat zuletzt zwei Bücher veröffentlicht, beim ersten geht’s um das Thema Heimat, beim zweiten um die Zusammenhänge zwischen Tracht, Macht und Politik. Ich habe die Lektüren sehr genossen, einiges gelernt, musste öfters schmunzeln und hab mich vor allem gefreut, auf einen so wendigen, klugen und humorvollen Geist zu stoßen, der (die!) auf Instagram unter bundesvorsitzendefdheimat firmiert.
Auf dem Weg ins Studio ist mir viel heimatgedankliches durch den Kopf gegangen. Und ich habe mich mal wieder gefragt, wie das mit der Heimat so bei mir ist. Aufgewachsen in einem Haushalt, wo eine klassische Tiroler Heimatsozialisation (mit Andreas Hofer und so) mit intellektuell feiner (und oft auch weniger feiner) Klinge als unzumutbar, weil nicht fortschrittlich, antimodern, spießig, erzkatholisch, regelmäßig vom Küchentisch gefegt wurde, war das mit der Heimat schon früh eine eher komplizierte Sache. Bin ich Tirolerin? Obwohl ich den Tiroler Dialekt eigentlich nicht spreche? Oder nur Österreicherin? Damals war Europa noch nicht so Thema. Und damals wollte ich auch keine Tirolerin sein, weil das provinziell anmutete, also eben Österreicherin. Ob das nun weniger provinziell anmutet, sei dahingestellt. Heimat fühlte sich also für mich schon früh wie zwischen den Stühlen sitzend an, was in jungen Jahren nicht ganz so einfach ist. Dieses Gefühl wurde noch von einigem anderen gespeist, aber das führt zu weit weg.
Mein längerer USA-Aufenthalt in meinen 20ern hat dazu geführt, dass ich mich klar als Europäerin begann zu sehen und das auch von Herzen sein wollte. Bis heute. Die verschiedenen und meist erfreulichen Begegnungen mit Tiroler*innen im Ausland haben mich dann auch etwas mehr zur Tirolerin werden lassen. Haltet mich für voreingenommen, aber viele Tiroler*innen fern der Heimat sind wirklich coole, interessante Leute. Das leicht sperrige, kantige, nicht so verweichlichte, scheint im Ausland oft zu großer Form aufzulaufen. Das hat mir gefallen und gefällt mir immer noch.
Meine Zeiten in Wien haben zur heimatlichen Identitätsfindung eigentlich wenig beigetragen, beziehungsweise hat sich da nicht viel verändert. Ich war immer gerne dort und bin es leider in den letzten Jahren viel zu wenig. Wieder zu beschäftigen begonnen hat mich das Nachdenken über Heimat als ich vor vielen Jahren nach Südtirol gekommen bin. Dem Thema kommt man hier nicht aus. Puhhh. Dieses Land hat es mir nicht leicht gemacht und macht es mir immer noch nicht leicht. Ich habe mich über meine Arbeit als Kulturjournalistin intensiv mit der Kultur des Landes beschäftigt, seit einigen Jahren aber wähle ich nur mehr aus, was mich interessiert: Essen, Trinken, Landschaft, einige Leute, die ich sehr mag, unsere Wohnung, die Buchhandlung Mardi Gras, das Museion und so. Es gibt sehr gute Gründe, wieso ich hier lebe und auch gerne lebe, aber es fühlt sich eher an wie auf einer Insel. Die lokalen Medien meide ich mit wenigen Ausnahmen. Südtirolerin bin ich keine.
Heimat als politischer Kampfbegriff war mir immer schon verdächtig. Und wo er als solcher eingesetzt wird, egal wohin man schaut, sieht man welch menschliche und politische Verwüstungen er anrichtet. Sehr viel sympathischer ist mir da der Blick auf das Naheliegende. Elsbeth Wallnöfers Beschreibung von Heimat als einer individuellen Empfindung, als Gewohnheit, als ein Ort, wo man sich nicht immer wieder aufs Neue erklären muss, ist da sehr brauchbar. Zuhause fühle ich mich bei Menschen, die ich liebe und mag. Zuhause bin ich in unserer Wohnung. Vertraut fühlt es sich dort an, wo ich die Codes kenne und entschlüsseln kann, im Stand bin zwischen den Zeilen lesen. Zuhause aber bin ich zum Beispiel nicht mehr in der Wohnung meiner Eltern, auch wenn ich dort aufgewachsen bin. Bei aller Vertrautheit, dem bin ich längst entwachsen. Südtirol ist mir in vielem vertraut, ich hege eine gewisse Zärtlichkeit gegenüber dem Land, auch wenn mir die zunehmend satte, selbstzufriedene Mittelmäßigkeit auf die Nerven geht. Aber in einer vernetzten Welt sind ja viele Wege kurz, da bin ich sehr dankbar dafür.
Um zwischen den Stühlen zu sitzen braucht es einige muscoli! Sarnertuch/secondhand – Schürzenkleid/quollezione (die bisher zeitgemässeste und stylischste Antwort auf lokale Kleidungstraditionen)
Fazit meines Spaziergangs: nach wie vor sitze ich zwischen den Stühlen, aber im Gegensatz zu frühen Jahren, gefällt mir das gut und ich pflege es auch. Festgefahren in irgendwelchen Rollen und Erwartungshaltungen, egal ob von Familie, Gott oder Vaterland, war nie so meine Sache, dennoch gab es diese Sehnsucht nach Dazugehören zu etwas Größerem als dem eigenen Selbst. Zwischen den Stühlen jedenfalls lässt sich das sehr gut leben und manchmal auch träumen.
Und wie ist das für euch? Auf dem Stuhl? Unter dem Stuhl? Dazwischen? Gar kein Stuhl?
Yours,
Frau Susi
Elsbeth Wallnöfers Bücher „Heimat. Ein Vorschlag zur Güte“ und „Tracht. Macht. Politik” sind bei Haymon erschienen.
Und da ich ja mit viel Freude in der nachhaltigen Modewelt unterwegs bin, schaut doch am Donnerstag und Freitag vorbei beim GREENSTYLE (Responsible) Fashion Summit! Ich starte heute nach München und co-moderiere die Veranstaltung mit Mirjam Smend, GREENSTYLE-Gründerin.
Delightful Gedankengymnastik.
Solche Spaziergänge sind lebenswichtig 🙏