Eine Klima-Aktivistin auf dem Cover der Vogue? Wer hätte noch vor kurzem gedacht, dass das möglich ist? Greta Thunberg jedenfalls ziert das Cover der ersten Ausgabe der Vogue Scandinavia, sie sitzt im Wald in einem übergroßen Trenchcoat und streichelt ein Pferd. Die Kleidung, die Greta für das Shooting trug, ist, so heißt es, aus recyceltem Material oder alten Vorräten. Im Interview dann spricht Greta über die Klimakrise, die unverantwortlichen Praktiken der Modeindustrie, über Greenwashing und auch einige persönliche Themen.
Als das zierliche Mädchen aus Schweden zunächst die lokale, dann die nationale und rasant auch die internationale Bühne bestieg, war vielen klar, hier passiert etwas Außergewöhnliches. Mit resoluter Stimme, klaren, sachlichen Argumenten hat Greta der Welt erklärt, dass es so nicht mehr weitergehen kann, wir so nicht mehr weitermachen können und, dass jetzt endlich gehandelt und nicht um den Brei herumgeredet werden muss. Sie hat ausgesprochen, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit Jahrzehnten predigen und die Welt, zumindest ein Teil, hat ihr zugehört. Sie wurde die Stimme einer Generation, mehr noch die Stimme derer, die unseren Planeten nicht denjenigen überlassen möchten, die ihn rücksichtslos oder auch nur gedankenlos ausbeuten, sondern auch den nächsten Generationen ein würdiges Leben ermöglichen möchten.
Greta Thunberg ist ein Vorbild. Für viele. Auch für mich. Ihr Auftrag geht weit über ihr persönliches Leben hinaus. Das Asperger-Syndrom, das man ihr attestiert hat, schützt sie vielleicht auch ein wenig. Vor den hochgesteckten Erwartungen, die an sie gestellt werden, die kein Mensch jemals erfüllen kann, auch sie nicht, bis zu den zahlreichen Hassattacken, denen sie ausgesetzt ist. Im Interview mit der Vogue erzählt Greta zum Beispiel, dass ihr geraten wurde eine andere Identität anzunehmen, da die Drohungen zu heftig wurden. Sie habe das gemacht, dann aber wieder aufgegeben, da sie ihre Arbeit so nicht machen könne. Zum Interview mit der Vogue kam sie alleine mit dem Rad.
Vorbilder sind wichtig, denke ich, auch wenn es nicht so viele gibt, die dazu taugen. Besser gesagt, viele, die vielleicht dazu taugen würden, sehen und hören wir nicht oder nur selten. Bei Greta ist das anders. Sie taugt dazu und wir sehen und hören sie. Ganz so einfach ist das mit Vorbildern ja auch nicht. Entweder wir erwarten viel zu viel von ihnen oder sind zu unkritisch, weil es bequem ist, nicht näher hin zu schauen. Das, was uns häufig als Vorbild verkauft wird, ist oft auch nur der schöne Schein. Wie es hinter den Kulissen aussieht, sieht ja kaum jemand. Die Social Media Märchenwelt trägt auch nicht unbedingt dazu bei, Integrität vor den Schein zu stellen.
Ich selbst hatte selten so richtig große Vorbilder in meinem Leben, eher viele kleine. Mir hat manches gefallen bei Menschen, aber nie alles. Und oft hängt das, was mir gefällt, zusammen mit dem, was mir dann wieder nicht so gefällt. Ich wäre zum Beispiel gerne so lässig gewesen wie eine Bekannte aus meiner Studienzeit, aber dann wieder nicht so selbstbezogen oder ich wäre gerne so erfolgreich gewesen wie eine kluge Kollegin, aber wiederum nicht bereit gewesen, den Preis zu zahlen, den sie bezahlt hat. Die Liste ist lang und voller Widersprüche. Das heißt aber nicht, dass sie beliebig ist. Es gibt Qualitäten, die ich über alles schätze und wenn ich sie bei Menschen antreffe, dann freue ich mich darüber und schaue genauer hin. Ich schätze Integrität, Engagement für eine bessere Welt und Großzügigkeit, ich schätze aber auch Stilgefühl, Humor, Selbstironie und den Mut, Dinge zu tun und sagen, die vielleicht nicht immer dem Mainstream der Umgebung entsprechen. Ich schätze Menschen, die sich das Leben nicht zu leicht machen, sich auch für andere einsetzen und nicht nur den eigenen Vorteil im Blick haben. Und so weiter und so fort.
Ich lasse mich gerne inspirieren von Menschen, die in meinen Augen etwas Besonderes sind, können oder tun. Und da gibt es gar nicht wenige in meiner näheren und auch weiteren Umgebung. Gleichzeitig möchte ich natürlich auch inspirieren mit dem, was ich bin, sage und mache.
Vorbild sein heißt für mich nicht perfekt zu sein, keine Fehler zu machen, sondern ein lebendiger Mensch zu sein, der sich seiner Verantwortung(en) aber bewusst ist. Klingt anstrengend, anmaßend oder langweilig? Ist es aber nicht finde ich.
Greta Thunberg erzählt in der Vogue auch davon, dass sie seit Jahren keine neue Kleidung mehr gekauft habe. „Das letzte Mal, dass ich etwas Neues gekauft habe, war vor drei Jahren, und es war secondhand. Ich leihe mir einfach Sachen von Leuten, die ich kenne.“ Das bewundere ich sehr. Ich schaffe das nicht. Auch weil ich Mode viel zu sehr mag, mit großer Freude kleine, nachhaltige Brands unterstütze und einfach gerne mit Mode spiele. Aber ich nehme mir das, was sie sagt, zu Herzen.
Natürlich ist Greta von einigen auch für diese Aktion kritisiert worden. Wie kann sie für Integrität und Glaubwürdigkeit stehen und sich vor den Karren des Condé-Nast Verlags spannen lassen? Ist ja gut alles kritisch zu hinterfragen, aber man kann das auch überziehen und alles schlecht reden und damit blockieren und sich im Ergebnis dann selbst rechtfertigen, weil man eh nichts richtig tun kann und dann eben nichts tut. Außerdem macht sie ja nicht gemeinsame Sache mit Condé-Nast, sondern sagt klar, was sie denkt über die Modeindustrie und nutzt dabei die Öffentlichkeit, die ein solcher Verlag bieten kann. Finde ich absolut ok.
Am Tag als die Vogue Scandinavia erschien, wurde gleichzeitig der erste Teil des 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC präsentiert. Dass es nicht wirklich gut aussieht mit unserer Klima-Zukunft brauche ich hier vermutlich nicht zu wiederholen. Aber wir können etwas tun, das sagt auch der Weltklimarat. Und dazu braucht es eben auch Vorbilder wie Greta Thunberg.
Und by the way: Im letzten Newsletter hat Frau Susi darüber geschrieben, dass sie feststeckt. Greta auf dem Vogue-Cover, das Lesen des Interviews und die Präsentation des IPCC Berichts haben mich inspiriert und bestärkt darin, meine Sache(n) weiterzumachen, nicht nachzulassen und sich mit dem zu beschäftigen, was mir wichtig ist. In diesem Sinne, Frau Susi is back on track.
So long, yours,
Frau Susi
p.s. Im Sustainable Fashion Blog auf franzmagazine stelle ich euch die junge Eco Fashion Designerin Sharon Anena aus Gulu, Uganda vor. Toll, was sie dort auf die Beine stellt.
Danke!
Ich bekomme derzeit ziemlich viel Gegenwind und da ist ein Lob zwischendurch natürlich sehr schön😊
Ich gebe es aber auch gerne insofern zurück, dass ich mich immer auf einen neuen anregenden Text von Dir freue - Du schreibst einfach sehr gut👍